WÜRZBURG – Mit Jutta Allmendinger war eine Soziologin zu Gast beim Neujahrsempfang der Stadt Würzburg, die weit über die Hörsäle und den Wissenschaftsbetrieb hinaus wahrgenommen wird.
Ihre Positionen schaffen es immer wieder in die bekannten Talkshows, ihre Thesen und Studien beeinflussen Gesetzesreformen und somit beispielsweise die Arbeitswelt und den Grad der Geschlechtergerechtigkeit, der hier vorherrscht. Auch wenn aus ihrer Sicht Fortschritte hier sicher immer zu lange dauern, ist ihr Einfluss in solchen Fragen groß.
„Ich bin froh, dass wir mit Prof. Allmendinger die wahrscheinlich renommierteste Soziologin Deutschlands bei uns im Ratssaal zu Gast haben“, begrüßte Oberbürgermeister Christian Schuchardt die Gastrednerin und freute sich auf den Festvortrag. Allmendinger sei auch dank ihrer neuen Funktion als Mitglied im Ethikrat prädestiniert, beispielsweise zu den Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft Prognosen und Einschätzungen abzugeben.
Gut 550 Gäste waren zum letzten Neujahrsempfang unter Oberbürgermeister Christian Schuchardt gekommen. Zusammen mit Bürgermeister Martin Heilig und Bürgermeisterin Judith Roth-Jörg schüttelte er beim Defilee an der Eingangstüre zahlreiche Hände von Persönlichkeiten der Politik, der Kirchen, des Kulturlebens und vielen weiteren Interessierten am Stadtleben – bisweilen auch ganz ohne Amt, Titel oder Mandat.
In seiner Rede warf Schuchardt einen Blick auf Höhepunkte im Jahr 2024 und beschrieb Entwicklungen, die meist auch in den nächsten Jahren fordernd bleiben werden. Mit der Kaufhof-Rettung habe man beispielsweise Zeit gewonnen, man stehe hier erst am Anfang eines großen Wandels. Die Innenstadt wird neue Funktionen und Trends rechtzeitig antizipieren müssen, um einen deutlichen Rückgang von Einzelhandelsflächen in den kommenden Jahren auszugleichen.
Im Jahr 2024 wurde Baurecht für drei Kitas und knapp 400 neue Wohnungen geschaffen, große Bauvorhaben wurden realisiert, vom Europastern über Radachsen bis zum Platz direkt am Grafeneckart. Viele Projekte beschäftigen die Stadt über lange Zeiträume, umso wichtiger sind richtige und frühzeitige Weichenstellungen beispielsweise bei der Erneuerung des ÖPNV oder der Wärmeplanung. „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben“, zitierte der Oberbürgermeister Albert Einstein und leitete über zum Ausblick auf 2025.
Ein Jahr, das auch von der Erinnerungskultur geprägt sein wird. Am 16. März jährt sich die Zerstörung Würzburgs kurz vor Kriegsende zum 80. Mal. Wolfgang Lenz wäre am 17. März 100 Jahre alt geworden, und an vielen Orten Deutschlands blickt man auf den Bauernkrieg vor exakt 500 Jahren zurück. Auch in Würzburg wird es ein facettenreiches Programm geben.
Nach einem Geburtstagsständchen des vollbesetzten Ratssaals für den Jubilar Josef Hofmann stellte Jutta Allmendinger Ihrem Vortrag zwei Wünsche voraus. Be kind – seid nett zueinander – fasste sie ihre Hoffnung auf einen fairen Bundestagswahlkampf zusammen.
Sie begrüßte die Waffenruhe in Gaza und verband damit ihren zweiten Wunsch, dass auch in der Ukraine bald das Morden und Töten enden möge.
In ihrer Ansprache hob Allmendinger hervor, wie wichtig mehr menschliches Miteinander sei, um es dem zunehmenden Rückzug in eigene soziale Kreise entgegenzusetzen. Gerade öffentlichen Plätzen zur Begegnung ohne Konsumzwang, wie es zum Beispiel Bibliotheken seien, komme hierbei eine besondere Bedeutung zu. Auch integrativer sozialer Wohnungsbau sei ein Weg, dem zunehmenden Einsamkeitsmoment entgegenzuwirken.
Die Chancen der Alterung der Gesellschaft in guter Gesundheit würden im Moment noch liegengelassen, stellte Allmendinger fest. Diese gelte es zu nutzen, indem zum Beispiel nicht nur ein Beruf ein Leben lang ausgeübt werde, sondern ein zweiter oder gar dritter Beruf erlernt werde. Mehr Luft in Lebensverläufe geben formulierte Allmendinger ihren Vorschlag.
Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen sieht Allmendinger schon seit Jahren umgesetzt, ohne dass jedoch die Care-Arbeit, die Frauen leisten, zurückgegangen bzw. von Männern übernommen worden sei. Hier müsse die Last geschlechtergerechter verteilt werden. Für diese Aussage erhielt Allmendinger anhaltenden Applaus.
In Sachen E-Mobilität sieht die Soziologin Würzburg gut aufgestellt, gar als Vorbild für Berlin. Einzelne Maßnahmen – wie Fahrradstraßen, E-Säulen, Rückbau von Parkplätzen wirken zusammen dem Klimawandel entgegen. Allmendinger rät aber, hier auf Angebote statt Verbote zu setzen.
Vladimir Stupnikov und Blaž Fir von der Hochschule für Musik in Würzburg sorgten als Akkordeon-Duo für einen schwungvollen Jahresauftakt, der mit anregenden Gesprächen in Ratssaal und Foyer seine Fortsetzung fand.
Auf den Bildern:
Oberbürgermeister Christian Schuchardt und Jutta Allmendinger
Der vollbesetzte Ratssaal beim Neujahrsempfang
Fotos: Georg Wagenbrenner