WÜRZBURG – Bischof Dr. Franz Jung besuchte die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Würzburg und füh rte Gespräche mit Vertretern von Regierung von Unterfranken, Flüchtlingsberatung, Medizinischem Dienst und Ehrenamtlichen der Fahrradwerkstatt „Rad & Tat“.
Über die Arbeit der Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber in Würzburg hat sich Bischof Dr. Franz Jung bei einem Besuch am Montag, 29. September, informiert. Fast drei Stunden verbrachte er auf dem ehemaligen Kasernengelände an der B27 Richtung Veitshöchheim. Dabei sprach der Bischof mit Vertretern der Regierung von Unterfranken, des Sozialdiensts für Flüchtlinge des Diözesan-Caritasverbands, des Medizinischen Dienstes des Klinikums Würzburg Mitte sowie Ehrenamtlichen der Fahrradwerkstatt „Rad & Tat“. Aktuell leben in der Einrichtung, die seit 1992 in Betrieb ist, insgesamt 432 Menschen aus fast 30 verschiedenen Ländern, darunter 90 Minderjährige. Schwerpunktländer sind Afghanistan und Somalia – etwas mehr als die Hälfte der Menschen kommt aus einem dieser Länder. „Menschen brauchen eine Perspektive“, sagte der Bischof. „Die beste Lösung ist die, bei der sie in den Alltag integriert werden und in Arbeit kommen.“
Der Besuch fand im Rahmen der „Woche zur katholischen Flüchtlingshilfe“ der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) statt, die am Sonntag, 5. Oktober, endet. „Wir wollen damit das Engagement für Geflüchtete in die Öffentlichkeit bringen“, erklärte Bischof Jung. In den Medien würde meist über negative Beispiele und Probleme berichtet. „Wir müssen die Probleme, die es gibt, offen aussprechen, aber auch über das viele Gute reden, das getan wird“, appellierte er und dankte allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich für Geflüchtete engagieren. „Es gibt viele Menschen in unseren Gemeinden, die zum Beispiel Sprachunterricht geben oder beim Ausfüllen von Formularen helfen.“
Einrichtungsleiterin Julia Scheer führt die Besucher zunächst über das Gelände. Erste Station war das „Familienhaus“. Hier wohnen überwiegend Familien mit Kindern, aber auch alleinerziehende Männer mit Kindern sowie Menschen mit einem Handicap. Das Erdgeschoss sei barrierefrei, erklärte sie. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien selbst für die Reinigung ihrer Zimmer verantwortlich und würden auch selber kochen. Küche, Duschen und WCs würden gemeinschaftlich genutzt. Im sogenannten „Männerhaus“ roch es nach frischer Farbe. Das Gebäude werde gerade renoviert, erklärte Regierungsdirektor Benjamin Kraus, Leiter des Sachgebiets „Flüchtlingsunterbringung und Integration“. Die Besucher warfen einen Blick in ein frisch renoviertes Zimmer. Noch stehen hier nur zwei Metallschränke – nicht schön, aber der Brandschutz fordere es. Je zwei Männer teilen sich ein Zimmer. Das sei bei so vielen unterschiedlichen Nationalitäten manchmal gar nicht so leicht, sagte Scheer. Viele seien zudem durch die Flucht traumatisiert, ergänzte Johannes Hardenacke, Leiter des Bereichs „Sicherheit, Kommunales und Soziales“ bei der Regierung.
In den Räumen des „Sozialdiensts für Flüchtlinge“ des Diözesan-Caritasverbands sprach Rainer Jäckel, Dienststellenleiter der Flüchtlingsberatung Würzburg, über die Aufgaben der „Flüchtlings- und Integrationsberatung“. Montags, dienstags und donnerstags bieten vier hauptamtliche Mitarbeiter jeweils von 9 bis 11.30 Uhr eine offene Sprechstunde für die Geflüchteten an. Zusätzlich zu den offenen Sprechstunden werden Beratungstermine vereinbart. Ein großes Thema seien Fragen zum Asylrecht und zum Aufenthaltsrecht. Ein zweites wichtiges Thema sei die Existenzsicherung, damit die Versorgung von Geflüchteten sichergestellt ist.
Laut Patrick Sammetinger, diözesaner Fachberater für Migration und Integration, seien im vergangenen Jahr in ganz Unterfranken mehr als 9500 Klienten durch die professionellen Migrationsdienste der Caritas erreicht worden. Die Beratungskräfte hätten über 57.000 Beratungen durchgeführt. Er erzählte zudem, dass bei der Caritas mehr als 600 Ehrenamtliche gemeldet seien, die sich im Bereich Migration engagieren. „Kirche ist hier sehr aktiv“, betonte Sammetinger. Wie lange ein Anerkennungsverfahren dauere, wollte Bischof Jung wissen. Durchschnittswerte seien hier irreführend, sagte Kraus. Die Länge hänge unter anderem vom Herkunftsland ab, ob dort Krieg herrsche, ob gültige Papiere vorhanden seien. „Es kann drei bis vier Monate dauern. Oder auch mehrere Jahre.“
Er sei nach der Gedenkfeier für die Opfer und Angehörigen der Gewalttat in Aschaffenburg oft gefragt worden, warum abgelehnte oder psychisch auffällige Geflüchtete überhaupt noch im Land seien, sagte Bischof Jung. Es gebe keine einfache Antwort, erklärte Kraus. Bei Fremd- oder Eigengefährdung könne man die Person zwar zur Stabilisierung in ein Krankenhaus einweisen lassen, aber danach müsse man sie davon überzeugen, sich weiterhin fachärztlich helfen zu lassen. Diese Herausforderung bestehe gleichermaßen bei Menschen mit psychischen Problemen ohne Fluchthintergrund, betonte Kraus. Auch eine Rückführung sei nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstelle. „Man kann eine Person nicht einfach über die Grenze schieben. Hierfür bedarf es des Einverständnisses der Herkunftsländer“, sagte Kraus. „Fehlende Papiere oder Krieg im Herkunftsland erschweren die Dinge zusätzlich.“
Nächste Station war der Medizinische Dienst des Klinikums Würzburg Mitte. „Gesundheit ist ein Menschenrecht“, zitierte Bischof Jung Professor Dr. August Stich, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Infektiologie an der Universität Würzburg und einer der Initiatoren des Projekts. Der Medizinische Dienst biete medizinische Versorgung vor Ort sowie Sprechstunden in verschiedenen medizinischen Fachgebieten an, sagte Dr. Jan Stumpner, Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte. Er sei froh, dieses Pilotprojekt bekommen zu haben, sagte Kraus und verglich es mit einem „erweiterten Hausarzt“. Neben Ärzten des Klinikums Würzburg Mitte engagieren sich unter anderem auch pensionierte Mediziner sowie Krankenpflegerinnen und -pfleger. Der Anspruch sei, niederschwellig zu arbeiten. „Wir sind auch viel unterwegs zu Menschen, die nicht zu uns kommen können.“
„Wir sind da, ohne zu werten“, sagte Schwester Juliana Seelmann, Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen. Die ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin engagiert sich auch nach ihrer Wahl in der GU. Manchmal seien körperliche Beschwerden auf psychische Probleme zurückzuführen, ist ihre Erfahrung. „Jemand kommt mit Kopfschmerzen, dann mit Bauchschmerzen, und beim zehnten Mal erzählt die Person, was dahintersteckt.“ Die Menschen würden unter der Unsicherheit, dem erzwungenen Warten und den erlebten Traumata leiden. Seelmann berichtete von jungen Männern aus Afghanistan, die gerne arbeiten würden, aber nicht dürfen. „Sie werden krank, weil sie nicht arbeiten dürfen. Sie scheitern am System.“ Sie warb für mehr Verständnis für die Situation von Geflüchteten: „Niemand begibt sich freiwillig auf ein klappriges Boot. Wer so etwas macht, ist verzweifelt.“
Letzte Station war die Fahrradwerkstatt „Rat & Tat“ der Caritas – ein Beispiel für die vielen ehrenamtlichen Projekte, die auf dem Gelände der GU angeboten werden. Gerhard Adam, einer von insgesamt drei Ehrenamtlichen, führte die Gäste in die kleine, mit Ersatzteilen vollgepackte Werkstatt. Jeden Mittwoch- und Samstagvormittag sei geöffnet, sagte er. Die Räder seien gespendet und würden hier repariert. „Manche sind auch nur noch reif für den Sperrmüll“, aber diese würden dann für Ersatzteile auseinandergenommen. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner würden ihre Räder „intensiv nutzen“, hat er beobachtet. „Sie fahren damit zur Arbeit oder zur Schule. Manche haben auch mehrere Räder, falls eines kaputt geht.“ Einmal habe ein Geflüchteter in der Fahrradwerkstatt mitgearbeitet, „mittlerweile hat er eine Arbeitsstelle“. Für Jäckel ein Beispiel für ein Projekt, das sich „toll entwickelt“ habe.
sti (POW)
Auf dem Bild © Kerstin Schmeiser-Weiß (POW) | Man müsse „ein starkes Team“ haben, um Geflüchteten einen guten Start in Deutschland zu ermöglichen, sagt Einrichtungsleiterin Julia Scheer (2. von rechts). Bischof Dr. Franz Jung (3. von links) mit Vertretern der Regierung von Unterfranken, der Flüchtlingsberatung der Caritas, des Medizinischen Dienstes des Klinikums Würzburg Mitte und Ehrenamtlichen.