Spitze Zungen: Der Wildpark als Laufsteg der Bedeutungslosen oder: Warum in Wahrheit die Menschen angeschaut werden wollen

Spitze Zungen: Der Wildpark als Laufsteg der Bedeutungslosen oder: Warum in Wahrheit die Menschen angeschaut werden wollen

Ach, der Wildpark. Ein Ort der Stille, der Natur, der Tierbeobachtung. Sagen sie. In Wahrheit aber ist der Wildpark — speziell der in Schweinfurt — nichts weiter als ein öffentlich subventioniertes Ego-Kurzentrum für Aufmerksamkeitsjunkies in Funktionsjacken. Denn: Wer geht wirklich wegen der Tiere hin? Niemand.

Man gibt sich gern interessiert. „Schau mal, wie nah das Reh kommt!“ tönt es, während man mit 10-fachem Zoom die eigene Spiegelung im Gehegegitter fotografiert. Das Reh selbst? Komplett unbeeindruckt. Es kaut emotionslos auf trockenem Gras herum und weiß: Der eigentliche Zootier-Vibe geht vom Homo sapiens auf der anderen Seite des Zauns aus.

Denn dort stehen sie: Großstadtmenschen auf Sinnsuche. Kinderlose Pärchen mit Designertrinkflaschen, Eltern mit XL-Kinderwagen und die Sorte Mensch, die beim Betrachten von Wildschweinen seufzt: „Ach, wie süß. Die haben’s gut.“

Was der Mensch im Wildpark eigentlich sucht, ist kein Naturerlebnis. Er sucht einen Blickkontakt, der nicht wertet. Einen Ausdruck von Aufmerksamkeit, der ihn weder ghostet noch entfolgt. Die Tiere übernehmen hier die Rolle von stillen Therapeuten — Zuschauer, die nichts sagen, aber immerhin anwesend sind.

Denn ehrlich: Wer stellt sich freiwillig 20 Minuten vor einen Ziegenstall und glotzt in die Leere, wenn er nicht tief im Inneren hofft, dass wenigstens eine Ziege zurückglotzt? Man will gesehen werden. Und wenn es nur von einem sichtlich gelangweilten Mufflon ist.

Es geht längst nicht mehr ums Beobachten. Es geht um Beobachtet-Werden beim Beobachten. „Ich im Wildpark“ ist ein eigenes Genre auf Instagram. Die Tiere? Requisite. Hauptdarsteller ist das neue Wanderoutfit und das selbstbewusste Lächeln, das sagt: „Ich bin naturverbunden, aber auch photogen bei Gegenlicht.“ Und wehe, das Tier reagiert nicht! Dann kommt das Rascheln mit der Chipstüte oder das dezente Locken mit Apfelstücken. Tierische Zwangsinteraktion – powered by Influencer-Mindset.

Der absolute Tiefpunkt des Spektakels ist der Futterautomat. Für einen Euro darf man dort Pellets ziehen, die angeblich für die Tiere sind, aber in Wirklichkeit nur dazu dienen, endlich Relevanz im Revier zu erlangen. Wer füttert, wird beachtet. Zumindest kurz. Und das reicht vielen schon, um sich für ein paar Sekunden wichtig zu fühlen.

Der Schweinfurter Wildpark ist kein Ort der Tierbeobachtung. Er ist ein Zoo für Menschen, die gerne angeschaut werden – von Tieren, die nichts gesagt haben, aber deren passive Blicke mehr geben als jeder Like. Die Tiere? Die haben längst begriffen, was läuft. Und denken sich wahrscheinlich: „Schon wieder Sonntag. Gleich kommen sie wieder. Die, die so tun, als wären sie wegen uns da.“

Fabian Riedner für www.mainfranken.news

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