WÜRZBURG – Ute Rakob setzt den Bleistift an und schreibt in klarer, schnörkelloser Schrift das Wort „Nachmittag“ direkt auf die weiße Wand. Durch die großen Fenster scheint die Sonne auf vier Bilder, die wie ein farbiges Fries nebeneinander im Museum am Dom (MAD) in Würzburg hängen und exakt das gleiche Motiv zeigen.
Nämlich bunte Fragmente und Scherben auf schwarzem Grund. Darüber die Worte Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend. „Der einzige Unterschied ist der Lichteinfall“, erklärt die Künstlerin und deutet mit der Hand das Wandern der Sonnenstrahlen an. In der Ausstellung „Ute Rakob. Spuren der Zeit“, die bis 14. September 2025 zu sehen ist, gehen ihre Bilder ein Zwiegespräch mit den Werken der Dauerausstellung ein. Für Dr. Jürgen Emmert, Leiter der Abteilung Kunst, ist die Ausstellung ein doppelter Glücksfall, denn Rakob hat 37 ihrer Arbeiten der Stiftung Kunstsammlung der Diözese Würzburg geschenkt. „Das ist für uns eine große Freude und ein Meilenstein.“
Sie male „den Vergang, in ihm die Momente von Schönheit“, sagt Rakob selbst über ihre Kunst. In ihrer Arbeit „Die Große Fülle“, die den Beginn der Ausstellung markiert und erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen ist, scheint ein duftiges weißes Tuch auf dem Boden zu liegen. Aus der Nähe sieht man, dass es teilweise mit Erde bedeckt ist und schon länger liegen muss. Doch die Ästhetik täuscht. „Da lag diese Plastikfolie“, erzählt Rakob. Bei ihrem Anblick sei ihr der Gedanke gekommen: „Die Welt ist rund, und sie ist voller Plastik.“ Plastik, das die Landschaft und die Meere vermüllt. In Rakobs Werk verbinde sich die der Aspekt der Zerstörung mit einer „wunderbaren Ästhetik“, und das mache die Ausstellung gerade für ein kirchliches Museum besonders, sagt Museumskurator Michael Koller. Er ist seit 2009, als Rakob zum ersten Mal im Museum am Dom ausstellte, mit der Künstlerin in freundschaftlichem Kontakt. Wenn er über ihre Werke spricht, fallen häufig die Worte „Ästhetik“, „Magie“ und „Schönheit“.
Ein Erlebnis ist es, mit Rakob auf Spurensuche in ihren eigenen Bildern zu gehen, etwa im „Tieraltar“. In dem Haus, in dem sie in Italien lebe, gebe es einen Kamin mit feuerfesten Platten, erzählt sie. „Sie müssen seit 100 Jahren darin gewesen sein.“ In dem Kamin seien auch Tiere gebraten worden. Sie habe acht Monate damit verbracht, die Platten abzumalen. „Es sind Tierabbildungen darin“, sagt sie und deutet auf die Umrisse eines Vogels inmitten der bräunlich-schwärzlichen Feuerspuren. Auch eine Katze ist zu entdecken – und im Nachhinein fällt auf einmal noch ein schwarzer Hundekopf auf. Man könne beim Betrachten von Rakobs Werken „die Gedanken steigen und der Fantasie freien Lauf lassen“, sagt Koller. Unter dem „Tieraltar“ wandern in einem Video die Schädel von Tieren in einer makabren Prozession von links nach rechts. Die Vorbilder dafür stammen aus dem Naturhistorischen Museum in Wien, neben Italien der zweite Lebensmittelpunkt der Künstlerin.
Vögel sind ein häufiges Motiv. „Ich habe schon als Kind Vögel gezeichnet“, erzählt Rakob. Sie liebe Bertold Brechts Gedicht „Die Liebenden“ mit den Kranichen: „Sieh jene Kraniche in weitem Bogen…“ In der Sonderausstellung sind immer wieder Vögel zu finden, etwa als Vogelpärchen wie „Brecht’s Vögel“ oder als Zeichnungen von „Vogelschwingen“. Doch Fliegen bedeutet nicht nur Freiheit, sondern auch Risiko. „Nikes Schwinge“, inspiriert von einem Stück Blech mit Brand-, Schnitt- und Altersspuren, gefunden in einer Ruine in Italien, zeigt den abgeknickten Flügel der griechischen Göttin. Koller hat es in Nachbarschaft zu „Der Tod des Ikarus“ von Bernhard Heisig platziert.
In zufälligen Fundstücken, in Abfall, der am Wegesrand liegt, entdecke Rakob Verletzlichkeit und Zerfall, Bedrohung und Zerstörung von Schöpfung, aber auch Magie und Schönheit, ist im Folder zur Ausstellung zu lesen. Aus einer verrosteten und verbeulten Tafel beispielsweise, „auf einem Spaziergang gefunden“, wurde das „Zwei Seiten-Thema“, das an eine fantastische Landkarte erinnert. Rakob gelinge es mit ihrer Ästhetik, den Betrachter in eine neue Wirklichkeit zu heben und tiefere Bedeutungen damit zu verbinden, sagt Koller.
Einen Sonderplatz im „Labor“ des Museums hat Rakobs wohl wichtigste Arbeit: „Die Große Wunde“ –ursprünglich ein Tuch, das zu vielen unterschiedlichen Schattierungen von Rot verblichen ist. „Es war ein Fundstück aus Italien, ein rotes Häufchen am Wegesrand, das ich geschüttelt und mitgenommen habe“, erzählt sie. Erstmals ist das dazugehörige Video mit dem Titel „Werden und Vergehen“ zu sehen, das sie zusammen mit Sebastian Fröhlich entwickelt hat. Knapp sechs Minuten kann man dabei zusehen, wie aus Zeichnungen ihr Hauptwerk entsteht, langsam farbig wird und wieder vergeht – so wie auch das echte Tuch immer weiter ausbleiche. Am Ende „soll sich alles in Licht auflösen“, sagt sie. Untermalt wird das Video von Olivier Messiaens sphärischem „Prière après la communion“ aus dem „Livre du Saint Sacrement“. Licht habe einen „sakralen Charakter“, sagt Koller. Im kleinen, intimen Raum des „Labors“ habe er „eine sakrale Atmosphäre“ schaffen wollen. „Es war mir wichtig, das separat zu zeigen.“
Begleitveranstaltungen zur Sonderausstellung
Die „KunstKantine“ am Dienstag, 8. Juli, um 12.30 Uhr steht unter der Überschrift „Schönheit im Verfall“. Museumskurator Michael Koller führt Interessierte durch die Sonderausstellung „Ute Rakob. Spuren der Zeit“. Die Führung dauert rund eine halbe Stunde.
In der Reihe MAD_Senior*in führt Koller am Mittwoch, 16. Juli, um 15 Uhr durch die Sonderausstellung. Die rund einstündige Führung hat den Titel „Ich male den Vergang. In ihm die Momente von Schönheit“.
Die Sonderausstellung endet am Sonntag, 14. September, um 14 Uhr mit einer Finissage mit Kunstgespräch. Sie steht unter dem Motto „Näher dran geht nicht“. Interessierte können sich in ungezwungener Atmosphäre mit Ute Rakob über ihre Kunst austauschen. Michael Koller moderiert die Veranstaltung.
Die Sonderausstellung ist bis zum 14. September 2025 dienstags bis sonntags von 12 bis 17 zu sehen. Ein Folder mit Informationen zu Ute Rakob und ihrer Kunst, farbigen Abbildungen sowie einer Liste der Begleitveranstaltungen liegt kostenlos am Empfang des Museums aus. Weitere Informationen sowie Eintrittspreise gibt es im Internet unter www.museum-am-dom.de.
sti (POW)
Auf dem Bild © Kerstin Schmeiser-Weiß (POW) | „Die Große Fülle“ ist erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen. Links die Künstlerin Ute Rakob, rechts Museumskurator Michael Koller.


