kITZINGEN – Auf Augenhöhe mit den Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) und deren Helferinnen und Helfer ins Gespräch kommen: Das ist Ziel dieses Besuchs von Weihbischof Paul Reder. Mit seinem Kleinwagen, ganz ohne bischöfliche Insignien und ohne Fahrer, fährt er an diesem Frühlingstag vor.
Krankenschwester Régine Köhler, Medizinisch-technische Assistentin (MTA) Waltraud Seitz und die internationale Gesundheitswissenschaftlerin Elena Wlassa, alle von medmissio, dem früheren Missionsärztlichen Institut, begrüßen ihn am Eingang. Gemeinsam führen sie den Weihbischof durch die GU. Etwa 600 Personen im Durchschnittsalter von 25 Jahren leben dort aktuell.
Im sogenannten „Frauenzimmer“, einem Raum, in dem sich Frauen aus der GU zum Austausch untereinander treffen können, trifft er eine Familie aus der Elfenbeinküste. Der Mann und und seine Frau sind 2019 über das Mittelmeer nach Italien und von dort nach Deutschland gekommen, erzählen sie. Über Frankfurt und das Ankerzentrum in Geldersheim kamen sie vor drei Jahren nach Kitzingen. Ein Mann aus Nigeria berichtet davon, dass er 2021 nach Kitzingen kam. Was alle drei bedrückt: Sie dürfen keine Arbeit aufnehmen. Das würden sie alle gern tun, erzählen sie dem Weihbischof.
Der Mann von der Elfenbeinküste studierte in der Heimat Chemie und Physik, seine Frau ist gelernte Schneiderin. Der Nigerianer arbeitete in der Heimat als Herrenfriseur. „Ich möchte arbeiten, darf aber nicht. Das macht mich krank“, erzählt er und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Zudem lebt sein Sohn in Dortmund. Dorthin reisen, um ihn zu besuchen, verbietet ihm das Ausländerrecht. In einem Ordner hat er den Schriftverkehr mit den Behörden dabei.
Das Paar von der Elfenbeinküste erzählt dem Weihbischof, wie sehr sie die Ungewissheit belastet. Alle drei beziehungsweise sechs Monate müssen sie bangen, ob die Duldung verlängert wird. „Wir sind doch keine Kriminellen.“ Zwei Kleinkinder haben sie, beide in Deutschland geboren. Wie die Betreuung rund um die Geburt war, möchte der Weihbischof wissen. „Sehr gut“, sagt die Frau. Was die drei Erwachsenen aus Afrika belastet, ist für Weihbischof Reder nur zu verständlich. „Sie erleben das Untätigsein-Müssen über Monate als verlorene Lebenszeit. Ohne die Chance in der Arbeit eigene Fähigkeiten einzubringen und sich zu entwickeln, sind Krisen programmiert. Das ist nicht nur eine Frage der Integration, sondern auch des Selbstwerts.“
Ein paar Räume weiter zeigen die drei medmissio-Mitarbeiterinnen dem Weihbischof die Behandlungsräume. Dreimal pro Woche bieten sie dort zwei beziehungsweise drei Stunden lang Sprechstunden an. Sie verbinden Wunden, haben Medikamente für einfache Erkrankungen wie Erkältungen oder Durchfall parat. „Es ist schwer, Ärzte für die Behandlung einzubinden. Von den 600 Menschen, die in der GU leben, haben 100 keinen Hausarzt. Das liegt unter anderem daran, dass viele Ärzte den Mehraufwand wegen der Sprachbarriere scheuen“, erzählt Wlassa.
Auch sonst seien die Haus- und Kinderärzte im Raum Kitzingen ausreichend ausgelastet. Von daher erfordere es viel Zeit, einen behandelnden Arzt und einen freien Termin zu finden. Zudem müsse, wer von den Patienten aus der GU einen Arzt habe, erst einen Behandlungstermin vereinbaren, dann beim Amt einen Behandlungsschein beantragen und diesen dort persönlich abholen. Einige pensionierte Ärzte engagierten sich ehrenamtlich in der GU und würden so helfen, die schlimmsten Lücken zu schließen.
Überhaupt könnten die für medmissio tätigen Frauen von einer papierlosen Praxis nur träumen: Mangels Mitteln für die dafür notwendige Software und die zugehörige IT-Technik führen sie Papierakten über die Patienten – wie noch vor Jahrzehnten üblich. Da dadurch auch der Informationsfluss zwischen Einrichtungen nicht funktioniert, müssen die medizinische Daten bei jedem Patienten, der ankommt, neu erhoben werden. So geht kostbare Zeit verloren.
In einem weiteren Haus auf dem Gelände der GU trifft Weihbischof Reder Gewaltschutzkoordinator Ronald Guzmán. Neben der Kitzinger GU haben in Unterfranken nur das Ankerzentrum in Geldersheim und die GU in Würzburg eine derartige Stelle. „Meine Aufgabe ist es, zu erkennen und zu handeln, bevor es zu spät ist.“ Es sei die Perspektivlosigkeit, die viele der Menschen in der GU stresse. Dabei seien viele schon durch die Flucht traumatisiert. „Das zeigt mir, wie wichtig es für uns als Kirche ist, sozialraumorientiert zu denken und zu überlegen, wie wir die Menschen auch mit ihren Bedürfnissen nach Perspektiven und Kontakt über die Vernetzungsmöglichkeiten vor Ort und durch pastorale Entwicklungen berücksichtigen können“, sagt Weihbischof Reder.
„Jeder Tag bietet neue Herausforderungen“, erzählt Thomas Schmitz, Verwaltungsleiter der GU Kitzingen, dem Besucher aus Würzburg. 18 Nationalitäten lebten aktuell hier. „Afghanistan, Syrien, Somalia, Türkei und Armenien sind die zahlenmäßig wichtigsten Heimatländer. Was die Menschen alle eint, ist die Angst, wie es mit ihnen weitergeht.“ Ob für die Menschen in der GU, Bewohner wie Mitarbeitende, genug Seelsorge angeboten wird, fragt ihn der Weihbischof. „Es könnte mehr sein“, lautet Schmitz‘ Antwort. Auch Schmitz und seinen Kolleginnen und Kollegen sagt der Weihbischof: „Danke für Ihren Dienst, danke, dass Sie zum Wohl der Menschen in der GU trotz der vielen gesellschaftlichen und politischen Stimmungswechsel gut zusammenarbeiten.“
mh (POW)
Auf dem Bild © Markus Hauck (POW) | Weihbischof Paul Reder informierte sich bei einem Besuch in der Gemeinschaftsunterkunft Kitzingen über die Situation der Geflüchteten und ihrer Helferinnen und Helfer. Hier bekommt er eines der Behandlungszimmer gezeigt.