WÜRZBURG – Es war der Auftakt zum systematischen Völkermord an den Juden Europas. Vom 9. auf den 10. November 1938 schändeten Nazis und Mitläufer in ganz Deutschland Synagogen, zerschlugen Scheiben, zerstörten jüdische Läden, misshandelten und verhafteten Menschen.
Mehrere hundert Jüdinnen und Juden kamen in Deutschland in dieser Horror-Nacht zu Tode.
Auch in Würzburg gab es zahlreiche Opfer der Nazis – mindestens drei jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger starben in dieser Nacht, darunter der Kaufmann Alfred Katzmann, stellte Oberbürgermeister Martin Heilig bei seiner Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht auf dem Platz der ehemaligen jüdischen Synagoge heraus.
Katzmanns Nachfahren waren in diesem Sommer erstmals zu Besuch nach Würzburg gekommen – „es war eine meiner bewegendsten Begegnungen“, sagt Heilig. Doch auch wenn Würzburg heute von Versöhnung, Frieden, Freiheit und dem Glauben an eine bessere Zukunft geprägt sei, sei die traurige Realität, dass der Antisemitismus nicht Geschichte ist: „Wir erleben eine massive Zunahme antisemitischer Vorfälle in Bayern und ganz Deutschland“, weiß Heilig. Jüdische Einrichtungen müssten unter Polizeischutz gestellt werden, jüdische Menschen würden angepöbelt und auch angegriffen und die Hetze im Internet erreiche ein erschreckendes Ausmaß: „Ich sage daher mit aller Deutlichkeit: Antisemitismus hat in Würzburg keinen Platz! Wir verurteilen jede Form von Judenfeindlichkeit mit aller Entschlossenheit. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich jede und jeder sicher und willkommen fühlen kann – unabhängig von Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung“, betont Würzburgs Oberbürgermeister Martin Heilig.
„Es ist erschreckend, wie viele Leute Zeugen des Leides waren, aber nichts taten“, blickt Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, auf die Geschehnis-se im November 1938 zurück. Damals habe nicht der Hass alleine, sondern vor allem auch das Wegsehen die Shoa möglich gemacht. Und auch heute sei die Frage, ob Menschen eingreifen oder viele wieder wegschauen würden? „Der 9. November 1938 verpflichtet uns zur Zivilcourage und zum Eintreten gegen den Antisemitismus“, betont Dr. Schuster. Und man zeige Zivilcourage, indem man nicht stumm bleibe.
„Wir waren bis heute nicht im Stande, den Judenhass in Deutschland nachhaltig zu reduzieren“, fasst Regierungspräsidentin Dr. Susanne Weizendörfer zusammen. Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen seien nach wie vor traurige Wegbegleiter der Gegenwartsgeschichte Deutschlands.
Der 7. Oktober 2023 und der Krieg in Gaza hätten dabei wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Die Empörung und das Entsetzen nach dem Überfall der Hamas am 7.Oktober 2023 sei vielerorten schnell der Kritik am israelischen Einmarsch in den Gaza-Streifen gewichen. Die Solidarität mit Israel sei brüchig geworden, jüdische Künstler und Sportler würden von Veranstaltungen ausgeschlossen, jüdischen Studenten der Zugang zu Hörsälen verweigert. Die Bilder aus Gaza machen betroffen, Forderungen um humanitäre und medizinische Hilfe gegenüber der israelischen Regierung seien legitim.
„Kritik an der israelischen Regierung darf aber nicht automatisch zur Kritik am Staat Israel und dessen Existenzrecht werden oder als Rechtfertigung dienen, dass in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden, die zum Großteil deutsche Staatsbürger sind, Diskriminierung und Gewalt erfahren. Schweigen darf in solchen Fällen keine Option sein. Dies wäre die stille Zustimmung zu dem, was in unserer Gesellschaft keinen Platz haben darf“, so die Regierungspräsidentin.
Auch müsse Gedenk- und Bildungsarbeit konsequent fortgesetzt werden, um aus der eigenen Vergangenheit zu lernen für eine von Toleranz und Menschlichkeit geprägte Zukunft. Neben digitalen Angeboten sei ein Beispiel der „DenkOrt Deportation 1941 – 44“ vor dem Würzburger Hauptbahnhof. Dieser Denkort biete zusammen mit seinem Onlineangebot das, was es zum Erinnern neben Empathie und der Übernahme von Verantwortung für die Zukunft brauche: Wissen – direkt vor Ort. „Lassen Sie uns heuten ein Zeichen setzen – für das Andenken an die Opfer der Reichspogromnacht, für die Verantwortung, die wir tragen, und für unsere Verpflichtung, Hass und Hetze zu begegnen“, appelliert Weizendörfer an die Anwesenden.
Im Anschluss sprach Rabbiner Shlomo Zelig Avrasin das Kaddisch.
Auf dem Bild: Oberbürgermeister Martin Heilig beim Gedenken zur Pogromnacht. Foto: Christian Weiß

