Spitze Zungen: Warum das Buswartehäuschen von Geldersheim ein Kafkaesker Raum ist

Spitze Zungen: Warum das Buswartehäuschen von Geldersheim ein Kafkaesker Raum ist
Bild von Bruno auf Pixabay

Manchmal geschieht es, dass drei Menschen gleichzeitig auf denselben Bus warten – und doch nie beieinanderstehen. In Geldersheim ist das der Normalzustand, denn das Dorf besitzt drei Buswartehäuschen, die wie Prüfstationen in einem unsichtbaren Experiment wirken.

Am Marktplatz sitzt die Erste, eine ältere Frau mit Einkaufstasche. Sie starrt auf den vergilbten Fahrplan, der noch „gültig bis 2017“ verkündet. Sie runzelt die Stirn und murmelt, ob man vielleicht doch schon im Jahr 2025 sei. Niemand antwortet, nur der Wind bewegt das Papier. Sie bleibt sitzen, denn wer so lange gelebt hat, weiß: Der Bus kommt irgendwann, wenn auch nur, um sich selbst zu bestätigen.

An der Hauptstraße steht der Zweite, ein Mann im Anzug, der eigentlich nur nach Schweinfurt will, aber sich zunehmend wie ein Ausstellungsstück fühlt. Jeder Autofahrer blickt ihn an, als sei er Teil einer Installation: „Warten im Durchzug“. Er zieht den Mantel enger, doch die Kälte findet immer einen Weg. Ab und zu denkt er daran, rüber zum Marktplatz zu laufen, doch dann fürchtet er, der Bus könnte genau jetzt vorbeikommen. Also bleibt er, eine Schaufensterpuppe im Glasverschlag.

Am Ortsrand hockt der Dritte, ein Schüler mit Rucksack, auf der Bank des verlassensten Häuschens. Um ihn herum Felder, Stille, und das Gefühl, als hätte jemand dieses Wartehäuschen nur aufgestellt, um herauszufinden, wie lange ein Mensch aushält, ohne Gesellschaft zu verlieren. Er hört im Wind ein fernes Rauschen, vielleicht ein Bus, vielleicht nur der Verkehr auf der B26. Er reibt sich die Hände, und obwohl niemand da ist, spricht er leise zu sich selbst, um sicherzugehen, dass er noch existiert.

So sitzen sie, jeder in seinem Häuschen, unsichtbar füreinander, verbunden nur durch die Unsicherheit, ob der Bus jemals kommt. Und wenn er tatsächlich auftaucht, wird er vielleicht nur an einem einzigen Häuschen halten – wahrscheinlich dem, an dem keiner wartet. Denn in Geldersheim ist das Warten kein Mittel zum Ziel, sondern das Ziel selbst. Und am Ende des Tages fragt sich jeder der drei, ob er wirklich auf den Bus gewartet hat – oder ob der Bus die ganze Zeit auf ihn gewartet hat.

Fabian Riedner für www.mainfranken.news

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