Würzburg von einer anderen Seite kennenlernen: THWS-Studierende besuchen historische Erinnerungsorte

Würzburg von einer anderen Seite kennenlernen: THWS-Studierende besuchen historische Erinnerungsorte

WÜRZBURG – Vom Hörsaal in die Innenstadt: Prof. Dr. Dieter Kulke von der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) hat mit den Studierenden, die in diesem Sommersemester den Masterstudiengang „International Social Work with Refugees and Migrants“ begonnen haben, eine eintägige Exkursion durchgeführt.

Als Leiter des Seminars „Research Perspectives, Methods & Ethics“ vermittelt er die ethischen Grundlagen der vor allem qualitativen Forschung in der Wissenschaft der Sozialen Arbeit. In diesem Rahmen organisierte er für die Kursteilnehmende eine Stadtführung zur Geschichte und Kultur des Judentums in Würzburg.

Dr. Riccardo Altieri, Leiter des Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte und Kultur, referierte während des Stadtrundgangs über Fluchtgründe unterfränkischer Jüdinnen und Juden. An fünf Erinnerungsorten stellte er diese kaum mehr sichtbare Geschichte der Stadt Würzburg vor. So stand dort, wo heute die Marienkapelle zu sehen ist, einst die mittelalterliche Synagoge. Sie wurde im 14. Jahrhundert zerstört und ein von bürgerlicher Hand gestifteter, christlicher Sakralbau errichtet.

Auch das Areal des Juliusspitals verbirgt heute, abgesehen von einer Infotafel und einem Kunstwerk von Kurt Grimm, seine jüdische Vergangenheit. An jenem Ort lag einst der jüdische Friedhof – obwohl angelegt für die Ewigkeit, wurde er vom Fürstbischof abgeräumt, die Steine zweckentfremdet und erst im 20. Jahrhundert geborgen. Heute werden diese Steine im Magazin des Museums Shalom Europa im Gebäude der Israelitischen Gemeinde Würzburg aufbewahrt.

Ethische Fragen für Studierende

Mit dem Besuch des „Braunen Hauses“ gegenüber dem Bischofspalais, dem Denkmal für ermordete Sinti und Roma, und des „DenkOrts Deportationen“ am Würzburger Hauptbahnhof setzten sich die Studierenden mit der NS-Erinnerungskultur auseinander. Der Erinnerungsort am Hauptbahnhof verdeutlicht mit zahlreichen Koffern, Rucksäcken und Deckenrollen das Schicksal von über 2.000 in der NS-Zeit deportierten und größtenteils ermordeten Jüdinnen und Juden aus ganz Unterfranken. Die Stadtführung bot viele Anschlüsse an ethische Fragen, zur Erinnerungskultur im Allgemeinen und zum Umgang mit Erinnerungsorten im öffentlichen Raum bzw. im Umgang und der Begegnung mit ihnen im Besonderen. Den stärksten Bezug zum Seminar stellt der Nürnberger Ärzteprozess dar, der erste der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, in dem die unter dem Deckmantel medizinischer Forschung begangenen Verbrechen im Nationalsozialismus verhandelt wurden. Der studentischen Gruppe sei deutlich geworden, dass medizinische Experimente ein allgemeines ethisches Problem darstellten. Der US-Militärgerichtshof erarbeitete zehn Grundsätze für „Permissible Medical Experiments“, den Nürnberger Kodex von 1947. Dieser prägte weitere medizinethische Kodizes wie das Genfer Ärztegelöbnis von 1948 oder der Deklaration von Helsinki von 1964.

Mit seiner absoluten Betonung mit Einwilligungen aufgeklärter Patientinnen und Patienten war der Nürnberger Kodex außerdem maßgebend für die Forschungsethikkodizes anderer Disziplinen wie jenen der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit.

„Diese Exkursion war von besonderer Bedeutung für unser Seminar, da sie den Studierenden ermöglicht hat, die ethischen Herausforderungen der Geschichts- und Erinnerungskultur direkt und eindrucksvoll zu erleben“, so Prof. Dr. Kulke. Er betonte, dass durch den Besuch historischer Erinnerungsorte und das Erforschen vergangener Ereignisse die Teilnehmenden ein tieferes Verständnis für die komplexen Zusammenhänge zwischen Geschichte, Kultur und ethischer Verantwortung entwickeln konnten. „Dies ist ein unschätzbarer Gewinn für ihre Ausbildung und ihre zukünftige Arbeit im Bereich der Sozialen Arbeit“.

Auf dem Bild: THWS-Studierende vor der Marienkapelle auf dem Unteren Markt in Würzburg sowie Dr. Riccardo Altieri, Leiter des Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte und Kultur Würzburg (li.), und Prof. Dr. Dieter Kulke (2. v. li.), Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der THWS (Foto: THWS/Julian Müller)

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert