Verlorene Baukultur: Platz drei für den Abriss der Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld

GRAFENRHEINFELD – Kirchen, historische Gasthöfe, Wohn- und Handwerkerhäuser: Auch in diesem Jahr hat der Bayerische Landesverein für Heimatpflege wieder traurige Beispiele verlorener Baukultur gesammelt.

Von 27. Dezember 2024 bis einschließlich 9. Januar 2025 konnte die Öffentlichkeit abstimmen. Zwölf besonders markante Fälle, die stellvertretend für den Verlust historischer Bausubstanz stehen, wurden für die diesjährige Abstimmung ausgewählt. Der Wettbewerb soll Bewusstsein schaffen für die zunehmende Vernichtung denkmalgeschützter und historischer Gebäude in Bayern.

„Gewonnen“ hat derAbriss eines denkmalgeschützten Gebäudes in der Landshuter Wagnergasse als bedauernswertester Verlust empfunden wird. Auf Platz zwei der Liste von zwölf Abrissen des vergangenen Jahres landete das historische Handwerkerhaus in Bad Birnbach und auf Platz drei die Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld.

Im August 2024 wurden die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld in Bayern gesprengt, ein symbolischer Schritt im Rückbau der Anlage, der seit 2018 läuft und noch Jahre dauern wird. Der Beton der Türme, die nicht radioaktiv belastet waren, wird vor Ort zerkleinert und eventuell wiederverwertet. Der Rückbau des Werks ist mit hohen Kosten von etwa 1,1 Milliarden Euro und der Entsorgung von 27.000 Tonnen Material verbunden.

Die Sprengung habe zu etwa 55.000 Tonnen Bauschutt geführt, kritisierten die Heimatpfleger. Kletterhallen, Clubs oder andere kulturelle Einrichtungen hätten in den Zwillingstürmen einen Platz finden können. Die Heimatpfleger nannten die Türme ein „markantes Wahrzeichen der Region“.

Auf den Plätzen vier bis sechs für den „Abriss des Jahres“ 2024 landeten ein jüdisches Wohnhaus in Coburg, ein Haus am Spitalberg in Burgau und die Schlosswirtschaft in Planegg.

Der Landesverein für Heimatpflege verzeichnet seit Jahren mit großer Sorge, dass der Erhalt ortsbildprägender Baukultur in Bayern zunehmend ins Hintertreffen gerät. „Unsere Baukultur macht Bayern unverwechselbar“, betont Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Vereins. „Dennoch beobachten wir, dass viele erhaltenswerte, sogar denkmalgeschützte, Gebäude jahrzehntelang vernachlässigt werden und letztlich dem Verfall und Abriss preisgegeben sind.“

Der Abriss von Bestandsbauten bedeutet nicht nur den Verlust von Identität stiftenden Zeitzeugen, sondern auch eine massive Ressourcenverschwendung. Denn nach einem Abriss wird in aller Regel neu gebaut. Aktuelle Zahlen verdeutlichen den Handlungsbedarf: Rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland sind auf die Baubranche zurückzuführen, während pro Kopf mehr als 2,5 Tonnen Bau- und Abbruchabfall entstehen.

„Anstatt bestehende Gebäude abzureißen, müssen wir den Bestand als Ressource begreifen und weiterentwickeln. Das spart Energie, schont Materialien und bewahrt ein Stück Heimat“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Dr. Olaf Heinrich.

Bereits in den vergangenen zwei Jahren sorgte die Wahl zum „Abriss des Jahres“ für große Aufmerksamkeit. Traurige Gewinner waren die Radrennbahn in Nürnberg (2022) und ein Fachwerkhaus in Bayreuth-Rödensdorf (2023).

Denkmalgeschützte Gebäude sind eigentlich gesetzlich vor Abriss geschützt. In der Realität aber bemerkt der Landesverein schon seit langem, dass dieser Schutz immer wieder durch die Argumente der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit oder der akuten Einsturzgefahr ausgehebelt wird. Ist ein Gebäude zwar historisch und städtebaulich bedeutsam, aber nicht denkmalgeschützt, steht einem Abriss rechtlich gesehen gar nichts entgegen.

Zwischen 2011 und 2021 gaben die zuständigen Behörden allein in Bayern mehr als 800 gelistete Denkmäler zum Abriss frei. Ein alarmierender Trend, der nicht nur das historische Erbe zerstört, sondern auch wertvolle Ressourcen verschwendet.

Foto: Johannes Kiefer Kernkraftwerk

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